Text: Claudia Furger
«Berufe des Gesundheits- und Sozialwesens sind Frauendomänen.» Ist das eine längst überholte Aussage, oder vertraut unsere Gesellschaft die Sorge und Betreuung von Kranken, Kindern und Menschen mit einer Beeinträchtigung immer noch mehrheitlich Frauen an? Wir haben uns mit drei Männern getroffen, die sich für eine Ausbildung in einem sozialen Beruf entschieden haben. Sie berichten aus Ihrem Alltag und sagen, warum es wichtig ist, dass noch mehr Männer diesen Weg einschlagen sollten.
Nimmt man das Jahr 2008 und rechnet 12 Jahre dazu, dann hat sich in dieser Zeitspanne der Anteil an Männern, welche die Ausbildung zum Fachmann Betreuung (Kind) absolvieren, mehr als verdoppelt. Es tut sich etwas – aber nicht genug. Denn während es 2008 sieben Prozent waren, sind es 2020 gerade mal 16 Prozent aller abgeschlossenen Lehrverhältnisse. Noël Jaquet, Fabio Schneeberger und Linus Ballif tragen zu dieser Entwicklung bei. Sie besuchen seit zwei Jahren diesen Lehrgang an der BFF in Bern.
Die soziale Arbeit ist notwendig und sinngebend
«Dieses Lachen und Geplapper, diese Lebensfreude und Energie, die einem am Morgen entgegenschwappt, wenn man reinkommt – das ist das, was mich immer wieder aufs Neue motiviert», sagt Fabio Schneeberger. Er arbeitet in einer Kinderkrippe in Bern. Sein Kollege Noël Jaquet ergänzt: «Mein Beruf ist sinnstiftend, und ich kann die Kinder in Ihrem Wissensdrang und Entdeckergeist unterstützen.» Er ist ebenfalls in einer Kita in Bern tätig. In beiden Institutionen sind die Frauen weit in der Überzahl. «Das stört mich nicht», sagt Schneeberger. Aber er wünscht sich, dass mehr Männer folgen würden. Denn ein gemischtes Team bereichert und bringt ganz automatisch unterschiedliche Ideen und Ansätze hervor. Auch fordert es alle Beteiligten auf, das eigene Verhalten stets zu überdenken und allenfalls anzupassen.
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Die Kraft der männlichen Vorbilder
Das sieht auch Linux Ballif so. Er arbeitet in einer Tagesschule in Biel, die Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse besuchen. «Mir zeigt die Erfahrung, dass es für Kinder wichtig ist, in ihrem schulischen Umfeld Ansprechpersonen beider Geschlechter zu haben», sagt er. Also auch männliche Bezugspersonen und Vorbilder, die ein offenes Ohr haben und nicht nur weibliche. Weil viele Lehrkräfte auf der Primarstufe Frauen sind, schliessen sich darum viele Knaben bei Aktivitäten oder bei der Aufgabenhilfe in der Tagesschule gerne ihm an.
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Die eigenen Interessen überwiegen
Den Punkt der vermeintlichen Frauendomäne im sozialen Bereich haben sich die Drei bei ihrem Berufsentscheid zwar gut überlegt, er hat sie aber nicht abgeschreckt. Der Wunsch, den eigenen Interessen zu folgen war grösser, als sich auf angebliche Genderstereotypen im Beruf einzulassen. Bei ihrem Entscheid wurden sie von ihren Familien und Freunden unterstützt. Heute sind sie froh, diesen Weg gewählt zu haben. Die verantwortungsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit, aber auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, welche die Arbeit und die Ausbildung an der BFF prägen, werden sehr geschätzt. Und wie sieht es mit den Karriereaussichten aus? «Wir haben interessante Perspektiven», sagen die Drei. Momentan erlangen sie ihre Berufsbildung als Fachmann Betreuung EFZ. Später wollen sie die Berufsmaturität absolvieren und anschliessend studieren. «Das mir so viele Türen während und nach der Lehre als Fachmann Betreuung offenstehen, ist für mich elementar», sagt Schneeberger.
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Der Sozialbereich bietet vielfältige Berufsperspektiven
Der soziale Beruf ist also alles andere als eine Sackgasse und hält attraktive Entwicklungsmöglichkeiten bereit. Trotzdem ist das Geschlechterverhältnis nach wie vor unausgeglichen. Warum ist das so? Eine Antwort lässt sich in der Gesprächsrunde im Restaurant Fabrique28, der Mensa der BFF Bern nicht finden. Ob es das fehlende Interesse vieler Männer an den sozialen Themen sind oder allenfalls die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung? «Frauen und Männer in der Sozialen Arbeit machen einen sehr wichtigen Job», sagt Jaquet. «Die Wertschätzung kann ich oft spüren, von den Kindern, den Eltern oder den Mitarbeitenden.» Trotzdem, da sind sich alle Drei einig, braucht es in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit und eine bessere Bezahlung. Denn die soziale Arbeit ist nicht nur ein Thema der Gegenwart, sondern auch eines der Zukunft.
Und was rät man einem Mann, der sich für einen sozialen Beruf interessiert, aber noch unschlüssig ist? Sich Einblicke verschaffen. Das sagen alle Drei. In verschiedene Betriebe reinschnuppern, um sich so ein konkretes Bild vom Job machen zu können. «Und seinem Bauchgefühl vertrauen» sagt Linus Ballif abschliessend. Denn wenn das Team, die Aufgabe und die Perspektiven stimmen, wird das Geschlechterthema zur Nebensache.
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