Roman Rech leitet Meliso, eine Institution, die Eltern und Kinder auf dem Weg in ein selbständiges Leben unterstützt. Für diesen Prozess steht sinnbildlich auch der Name Meliso. Er leitet sich ab aus Flussnamen. Die Biegungen und Wendungen der Flüsse stehen sinnbildlich für die nicht immer gerade verlaufenden Lebenswege. Roman Rech hat an der BFF den Zertifikatslehrgangs Teamleitung in sozialen und sozialmedizinischen Institutionen absolviert und gibt in diesem Interview einen Einblick in seinen ebenfalls nicht immer ruhig fliessenden Berufsalltag als Leitungsperson in einer sozialen Institution.
Herr Rech, Sie leiten Meliso, eine Institution, die Kinder und Eltern auf dem Weg in ein selbständiges Leben unterstützt. Was treibt Sie an bei Ihrer täglichen Arbeit?
Die Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern ist unglaublich wertvoll. Da setzen wir an. Wir setzen alles daran, dass es bei dieser Bindung zu keiner Trennung kommt. Das ist unsere übergeordnete Motivation. Oft sind wir aber damit konfrontiert, dass die Eltern die Ressourcen oder Kompetenzen nicht haben, um diese Bindung gelingend zu gestalten. Da ist es uns wichtig, dass wir den Versuch mit den betroffenen Eltern und Kindern trotzdem wagen. Wir schauen mit ihnen gemeinsam: Welche Kooperationsbereitschaft ist vorhanden? Welche Entwicklungsschritte sind möglich? Welche Rahmenbedingungen können die Eltern bieten, dass eine gute und gesunde Entwickelung gelingen kann?
Sie leiten ein Team von knapp dreissig Mitarbeitenden. Warum haben Sie sich für diese Rolle als Führungsperson entschieden, was macht diese Funktion für Sie interessant?
Dafür habe ich mich nicht bewusst entschieden. Im Ursprung bin ich noch immer leidenschaftlicher Sozialpädagoge, der sich sehr stark für die Entwicklung der Eltern mit ihren Kindern einsetzen kann. Der sozialpädagogische Alltag bereitet mir nach wie vor grosse Freude. Und gleichzeitig kann ich in der leitenden Funktion weitere Arbeitsbereiche gestalten, die mich faszinieren, konkret die Entwicklung der Mitarbeitenden und der Institution. Das sind für mich sehr spannende Aufgaben. Ich schaue gerne nach vorne und übernehme gerne Verantwortung, will etwas bewegen und bewirken. Diese Persönlichkeitsmerkmale kann ich in Change-Prozessen sehr gut einbringen und ausleben.
Welche Werte stehen für Meliso im Zentrum? Und wie setzen Sie diese in der täglichen Arbeit um?
Daran arbeiten wir. Wir haben Meliso vor drei Jahren übernommen. Von den Strukturen her war Meliso eine Lebensgemeinschaft, ein Miteinander. Und für uns war klar, dass wir die Organisationsform deutlicher als Institution strukturieren wollen. So können mehr Eltern mit ihren Kindern unsere Angebote nutzen.
Die eigentlichen Werte sind bisher noch etwas zu kurz gekommen. Bisher ginge es vor allem darum, den operativen Betrieb aufzubauen. Beim Leitungswechsel konnten wir auf keine Konzepte zurückgreifen, es gab auch kein pädagogisches Konzept. Das konnten wir nun alles entwickeln. Dann kam auch noch ein Standortwechseln dazu.
«Veränderungen müssen bis zum Team transportiert werden.»
In einem nächsten Schritt setzen wir uns nun intensiv mit den gemeinsamen Werten und der Institutionskultur auseinander. Das ist sehr wichtig, weil wir in kurzer Zeit von zwölf auf fünfundzwanzig Mitarbeitenden stark gewachsen sind. Diese Grösse bedingt einen anderen Führungsstil mit anderen Mitteln und Massnahmen, um die Werte auch tatsächlich leben und zu allen Mitarbeitenden transportieren zu können.
Was beschäftigt Sie momentan stark im Berufsalltag?
Wir sind in einem Prozess der Neustrukturierung. Durch das Wachstum der Institution brauchen wir neue Strukturen. Es gibt andere Leitungsebenen. Geschäftsreglemente müssen überarbeitet werden, die Entwickelung muss gesteuert werden. Das sind grosse und wichtige Prozesse, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Change-Prozesse brauchen auch Zeit für das Team. Die Veränderungen müssen bis zum Team transportiert werden.
Was ist nebst der Zeit wichtig, damit die Veränderungen akzeptiert werden?
Klare Kommunikation ist zentral. Umso grösser man wird, umso wichtiger ist es, verschiedene Gefässe für die Kommunikation zu definieren. Das sind neue Herausforderungen, vielleicht insbesondere für soziale Institutionen. Das Zwischenmenschliche ist wichtig und es funktioniert nicht wie vielleicht in anderen Branchen, wo die Mitarbeitenden im Homeoffice an technischen Produkten arbeiten. Bei uns stehen die Menschen im Zentrum.
Thema Corona: Wie veränderte die Pandemie Ihren Berufsalltag?
Es war eine intensive Zeit. Die Rahmenbedingungen veränderten sich ständig. Dadurch war die Kommunikation sehr wichtig, aber auch anspruchsvoll. Die Bewohnenden mussten teilweise grosse Eingriffe in Ihrem Alltag akzeptieren, was teilweise zu Unzufriedenheiten führte innerhalb unseres Settings.
Wie kommen hilfesuchende Eltern zu Ihnen?
Die Situationen sind unterschiedlich. Wir haben junge, teilweise minderjährige Mütter, Mütter mit psychischen Belastungen und Mütter mit kognitiven Beeinträchtigungen. Es kann sein, dass die Behörden einen Platz für diese Personen suchen.
«Wenn nach der Begleitung schlussendlich Eltern wieder mit ihren Kindern selbständig leben können, ist das für uns eine sehr wertvolle und schöne Erfahrung.»
Wir haben auch immer wieder Selbstanfragen von betroffenen Eltern, die mit ihrer Situation überfordert sind und sich unterstützen lassen möchten. In diesem Fall müssen die Sozialdienste einbezogen werden, so dass eine Platzierung zustande kommen kann. Das ist ein längeres Prozedere mit einem klaren Prozess mit Einbezug der Behörden und definierten Zielsetzungen. Wenn sich jemand auf unseren Rahmen einlässt, soll diese Person auch wissen, was die Abmachungen und Ziele sind und woran man Arbeiten möchte. Die Klärung der Erwartungen ist zentral.
Wie arbeiten Sie mit den betroffenen Eltern?
Meistens ist das Ziel, die Beziehung zwischen Eltern und Kinder zu stärken und die Fähigkeiten der Eltern zu erweitern. Dabei spielt die Situation der Mutter hinsichtlich ihrer Integration in der Gesellschaft oftmals eine wichtige Rolle. Das kann geschehen, indem wir gemeinsam eine Arbeitsstelle suchen, eine nicht abgeschlossene Schule absolviert oder eine Lehrstelle gesucht wird. Dementsprechend ist immer auch der Zeithorizont unterschiedlich. Dieser hat sich schon zwischen 6 Monaten und 5 Jahren bewegt. Wenn nach der Begleitung schlussendlich Eltern wieder mit ihren Kindern selbständig leben können, ist das für uns eine sehr wertvolle und schöne Erfahrung.
Sie haben den Zertifikatslehrgang zur Teamleitung in sozialen und sozialmedizinischen Institutionen absolviert. Was war Ihre Motivation für diese Weiterbildung?
Ich habe lange überlegt, in welche Richtung ich mich weiterentwickeln möchte. Coaching oder Beratung waren für mich auch interessante Gebiete. Durch meine neue Funktion als Institutionsleiter von Meliso wusste ich, dass ich mich im Bereich der Führung weiterbilden möchte.
«Das modulare, aufbauende Konzept des Zertifikatslehrgangs mit den drei Stufen von der Teamleitung über die Bereichsleitung zur Institutionsleitung entsprach mir sehr.»
Für die Wahl des Angebots war der Standort sehr wichtig, die Nähe zu meinem Arbeitsort in Bern. Die Zeitersparnis durch die schnelle Erreichbarkeit war wichtig bei einer gleichzeitigen Leitungsfunktion. Hinzu kam, dass weitere Institutionsleitende den Zertifikatslehrgang belegten, was den Austausch sehr wertvoll machte.
Welche Erwartungen hatten Sie?
Ich ging ohne grosse Erwartungen in die Weiterbildung, hoffte aber, Werkzeuge kennenzulernen, die mich auf meine Führungsfunktion vorbereiten. Auch waren mir die Anschlussmöglichkeiten wichtig. Das modulare, aufbauende Konzept des Zertifikatslehrgangs mit den drei Stufen von der Teamleitung über die Bereichsleitung zur Institutionsleitung entsprach mir sehr.
Sie haben die Werkzeuge angesprochen. Was nehmen Sie aus der Weiterbildung mit? Gab es Inhalte aus dem Lehrgang, die Sie direkt in der Praxis anwenden konnten?
Der praxisbezogene Unterricht mit dem Einbezug der verschiedenen Modelle und Theorien war für mich sehr bereichernd. Wir lernten Organisationsformen kennen und analysierten Möglichkeiten, wie verschiedenste Prozesse gestaltet werden können. Und wir diskutierten dabei immer die Transfermöglichkeiten in die eigene Berufspraxis. Das alles waren für mich sehr wichtige und wertvolle Erfahrungen.
Zum Abschluss: Ihr Rat an angehende Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen?
Haben Sie die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Verlieren Sie auch in schwierigen Situationen die Freude nicht, sehen sie auch dort eine Faszination – und immer auch Möglichkeiten, diese Situationen in eine positive Richtung lenken zu können. Und spezifisch für eine Leitungsfunktion: Haben sie Freude am Führen und an Herausforderungen – und stärken sie ihre Bereitschaft, Herausforderungen aktiv anzugehen.